"Allein trinken macht einsam.", darf ich mir immer sagen lassen, wenn ich - ohne meinem Mann zuzuprosten - einen Schluck Wein über meine Rezeptoren gleiten lasse.
Freilich ist es ein Ausspruch in Geselligkeit, mit einem Augenzwinkern und guter Laune bei einem deliziösen Essen, und für mich ist es nicht selten ein genialer Anlass, um gleich noch einen zweiten Schluck zu nehmen. Auf einem Bein steht es sich auch so schlecht.
Und dennoch: was ist dran an dieser Aussage? Und wie ist das mit Essen?
Nahrungsaufnahme ist Grundbedürfnis UND eine kulturell wichtige soziale Aktivität. Mehr als nur ein Psychologe weist in Essays und Studien darauf hin, dass gemeinsam Essen (und Trinken) verbindet. Neu dabei ist, dass es mehr verbindet, wenn alle am Tisch gleiche oder ähnliche Speisen zu sich nehmen. Warum ist das so? Weil wir darüber sprechen können, Geschmackserlebnisse austauschen, Konsistenzen beurteilen, Würze diskutieren und Alternativen für's nächste Mal besprechen. Oder wir lassen die Speisen völlig ohne Worte unser Medium der Verbundenheit sein, lassen das Essen seinen Job tun: uns nähren, uns wohlfühlen, uns sättigen.
Luca Zingaretti, grandioser Darsteller der sizilianischen TV-Kultfigur Commissario Salvo Montalbano - verbietet beispielsweise jedwedes ablenkende Tischgespräch, während er sich Rotbarben in Safranbutter und einem Glas heimischem Grillo widmet, ja sich im vielmehr hingibt. Thich Nath Hanh würde vor Neid erblassen bei dieser achtsamen Essenspraxis.
Der Einsamkeit entgegenwirken und Verbundenheit erzeugen funktioniert also mit gleichen Vorlieben im wichtigsten Raum im Haus (DIE KÜCHE, Leute, DIE KÜCHE!).
Der Umkehrschluss wäre demnach, dass ein Veganer am Tisch mit vier Verfechtern der Paleokost vereinsamt. Okay, was für mich völlig logisch erscheint, muss aber nun nicht zwangsweise stimmen. Und überdies kann auch ein derber Streit über Essensgewohnheiten (der bei dieser Konstellation sicher Potenzial hat) eine gewisse Form der Verbundenheit schaffen. Besser streiten als gar nicht kommunizieren.
Junge Studien zeigen tatsächlich auf, dass eine bewusste Entscheidung (z.B. Veganismus) oder eine erzwungene Umstellung (z.B. Unverträglichkeit) am Esstisch im Alltag einsam machen kann, wenn um einen herum nur "Allesesser" leben.
Verbindung, gegenseitiger Austausch und Nähe fehlen, wenn Fleischfresser und Grünkernbratlingsjunkies unter einem Dach jeden Tag zusammen essen. Entscheidend ist hier der Alltag und nicht die Ausnahme.
Die Experten sagen auch, dass es eine unbewusste Einsamkeit ist, die sich schleichend bemerkbar macht. Unter anderem, weil das "andere" Essverhalten oft nicht auf das größte Verständnis und Interesse stößt. Das betonte Schweigen wenn man im Restaurant mit gut bürgerlicher Küche nach glutenfreien Mehlspeisen fragt, sagt oft mehr als 1000 Worte. Verbindung = zero!
Was nun immer dieser Status Quo auf Ebene dieser Studien für künftige Empfehlungen bedeuten mag, so lassen sich für mich drei Appelle heute schon beschreiben:
1. Akzeptanz über Vielfalt stärkt das WIR-Gefühl, von dem wir dringend eine große Portion benötigen. Nicht mal für Essens-Rassismus ist Platz.
2. Gemeinsam essen ist IMMER die bessere Alternative, denn selbst bei unterschiedlichen Gewohnheiten ist man im Zweifelsfall lieber gemeinsam einsam.
3. Das Leben ist zu kurz, um den Wein nicht zu trinken. Allein oder zu zweit - EGAL!
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